Abenteuer in Deutschland?
Bericht 97
Früher gab es hier mal regelmäßige Berichte. Wollen wir doch mal sehen, ob das nicht wieder hinzukriegen ist. Denn die Wochenberichte waren weit über den Railware Anwenderkreis beliebt geworden.Der erste Bericht erschien übrigens im Januar 2003. Die Pionierzeit des Internet war da schon längst vorbei. Damals kannte man den Begriff "Blog" (Kurzform von: Web Logbuch) noch nicht und wohl nur sehr wenige berichteten über sich oder ihre Arbeit. Heute wird jede noch so banale oder intime Kleinigkeit bedenkenlos dem Internet anvertraut. Und selbst bei vielen Firmen gilt es als schick, wenn einige ausgesuchte Mitarbeiter über ihre Arbeit berichten dürfen. Mal sehen, ob unsere Wochenberichte unter diesem veränderten Umfeld noch wahr genommen werden. Zumindest wollen wir uns die Zeit nehmen, wieder jede Woche über Geschichten, Erlebnisse und Bilder aus unserem Alltag zu berichten sowie technische Informationen und Erkenntnisse zu vermitteln.
Fangen wir mal mit einem einfachem, banalen und frei erfundenem 'Erlebnis' an...
Am 12.1. wollte ich mal wieder nach Hamburg fahren. Als unverbesserlicher Optimist nutze ich natürlich die Bahn. Insbesondere auch, weil man während der Reise in Ruhe arbeiten kann. ICE 9551 sollte mich ab 08:59 von Saarbrücken nach Mannheim bringen. Dort hätte ich 1 Stunde Wartezeit gehabt (zur Sicherheit) und wäre dann um 11:16 mit ICE 76 nach Hamburg weiter gefahren. In Saarbrücken empfängt mich eine Bahnhofsansage, dass der aus Paris kommende ICE wegen "... einer verspäteten Auslandsübergabe ..." etwa 20 Minuten später fahren würde. Der gehässige Unterton in der Stimme sollte mir vielleicht suggerieren: ja, ja - mal wieder die Franzosen, unter denen die Deutsche Bahn zu leiden hat. Schon 15 Minuten später war der Zug da. Alle stiegen ein, aber nichts passierte. Nach 10 Minuten eine Ansage: "... wegen einer technischen Störung am Zug wird sich die Abfahrt verzögern. Ein Techniker und der Lokführer arbeiten daran ...". Tja, wird das etwa doch nicht an den Franzosen gelegen haben? Nach weiteren 10 Minuten wurde uns mitgeteilt, dass der Zug "neu gestartet" werden müsse und dies etwa 45 Minuten dauere. Die Fahrgäste hätten drei Optionen: im Zug bleiben aber die meiste Zeit ohne Licht, Strom und Heizung zu sein oder im Bahnhofsgebäude zu warten und einen der gemütlichen Fast-Food Stände zu besuchen oder mit dem in 10 Minuten abfahrenden Regional Express nach Mannheim zu fahren.
Ok, also der überfüllte Regional Express. Etwa 1 Stunde und 10 Minuten nach der ursprünglichen Ankunftzeit des ICE erreichen wir Mannheim. Die nicht sehr hilfreichen Durchsagen im Zug ignoriere ich und suche mit dem Smartphone im Internet nach dem nächsten Anschlusszug. Welche Freude, es ist noch mein gebuchter ICE 76, denn er hat von Zürich bis Mannheim auch schon 15 Minuten Verspätung gesammelt. Ich hechte durch den Mannheimer Bahnhof. Dort sieht man übrigens öfters abgehetzte Menschen. Warum nur? Es bleibt sogar noch Zeit für einen Blick auf den Wagenstandsanzeiger. Dann trifft mein Zug ein. Kaum zu glauben, aber das erste Mal im Leben freue ich mich über eine Verspätung. Da stört es denn auch nicht mehr so sehr, dass das Bordrestaurant wegen eines "...technischen Problems..." leider geschlossen ist. Immerhin gibt es Kaffee und ein Stück Kuchen. Auch ICE 76 sammelt fleißig weitere Verspätungsminuten ein. Bekommt die Bahn dafür vielleicht irgendwelche Punkte? Oder werden verspätete Züge von den Mitarbeitern etwa aufgegeben? So nach dem Motto "ist jetzt eh egal"? Mir auch, denn mit nur 1 Stunde und 20 Minuten Verspätung erreiche ich Hamburg.
Über Neues aus dem Wunderland werde ich ein anderes Mal berichten. Nebenbei habe ich mir eine Magen-Darm Infektion eingefangen und bleibe im Hotel. Ich entschließe mich zur Rückfahrt am Montagmorgen um 08:24 mit ICE 73. Laut Bahnsteigansage verzögert sich die Ankunft aus Kiel wegen "...eines technischen Defekts am Zug..." um voraussichtlich 30 Minuten. Der Weg zur Lounge lohnt sich nicht. Also bleibe ich frierend am Bahnsteig (was meinen Körper später völlig umhauen wird). Und nur 40 Minuten später trifft mein Zug ein. Der Zugchef entschuldigt sich für die Verspätung und nennt "... einen voraus auf der Strecke liegen gebliebenen Regionalzug ..." als Grund. Hmmmh - das klang doch am Bahnsteig noch ganz anders. Werde ich vielleicht belogen? Egal, ich sitze im Zug und bin froh nach Hause zu kommen. An Arbeit ist nicht zu denken - der Magen macht nicht mit. Auch ICE 73 sammelt weitere Verspätungsminuten ein. Aahh, also doch Punkte. Auch diesmal bringt das Einplanen einer langen Umsteigezeit keine Hilfe und ich muss ab Mannheim statt des gebuchten und bezahlten ICE wieder eine Regionalbahn nehmen.
Übrigens: seit neuestem bekommt man bei Verspätungen von der Bahn eine teilweise Rückerstattung des Fahrpreises. Allerdings, da werkeln schon pfiffige Leute, nur prozentual auf den eigentlich verspäteten Zug. Nicht jedoch für nicht erreichte Folgeverbindugen. Tja, denn die fuhren ja schließlich pünklich und man ist wohl selbst schuld, wenn man seinen Anschlusszug verpasst hat.
Ja, das Bahnfahren hat nichts von seinen Abenteuern aus den Anfängen der Industrialisierung verloren. Vielleicht zumindest dann nicht, wenn man mit den Prestigezügen der Deutschen Bahn unterwegs ist. Aber ich bin bestimmt nur ein Einzelfall.
Am nächsten Tag, jetzt hat es mich gesundheitlich richtig erwischt, zeige ich meiner Frau welche Vorzüge es hat, wenn man per Handy bei der Bahn erfragen kann, wieviel Verspätung ein Zug hat. Weil von gestern noch voreingestellt, wähle ich wieder ICE 73. Komisch, er hat schon wieder über 30 Minuten Verspätung. Da muss ja wohl schon wieder so eine Regionalbahn ...
Bis nächste Woche, bleiben Sie fröhlich und viel Spass beim (Modell)Bahnfahren wünscht
Dieter Hinz
p.s. Hin- und Rückfahrt zwischen Saarbrücken und Hamburg mit einer Bahncard 1. Klasse kosten übrigens nur weniger als 210€.
p.p.s Und zur weiteren Entschuldigung der Bahn muss man natürlich noch angeben, dass zum Reisezeitpunkt in Nordeutschland noch wenistens 10cm Schnee lagen und die Temperaturen unter -3 Grad lagen.
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