Letzte Woche bei Railware

5.4.2004

Manchmal muss man sich schon wundern, wie manche Zeitgenossen mit wochenlangem, unermüdlichem Eifer die Schuld für falsch haltende Züge überall suchen, nur nicht in der eigenen Umgebung. Der Begriff "Schuld" sollte endlich aus dem Sprachgebrauch verschwinden; dann würde man viel schneller und einfacher Lösungen finden. Was Tausende Jahre Glaubenslehre mancher "Sekten" doch so anrichten können.... Damit wir uns nicht missverstehen: ich glaube fest an die Existenz Gottes. 

Tatsache ist aber, das die Suche nach Schuldigen nur das Ego befriedigt; einer Lösung bringt sie uns nicht näher. Drüben auf der anderen Seite des großen Teiches nennt man derartiges übrigens verächtlich "fingerpointing".

Aber was hat das nun mit Railware zu tun ? Nun, zumindest im Forum scheint die Ursache für gelegentliche falsche Haltepunkte gefunden: beim Auslösen des letzten Melders wird sofort und ohne Verzögerung um eine Fahrstufe vermindert, was beim fahren mit Fahrstufe 1 dazu führt, dass der Zug sofort anhält. damit muss das Programm den Bremsweg falsch berechnen.

Erst mal muss ich mich doch ganz ernsthaft fragen, wer denn wirklich eine Lok auf einem längeren Weg mit Fahrstufe 1 pr PC fahren lassen möchte und noch einen einigermaßen sanften und genauen Bremsvorgang erwartet ? Nach 1 kommt 0; dazwischen ist nichts mehr. Lieber Gott, warum nur hast Du Deine Gaben nur so ungleich verteilt ? Hast Du uns Modellbahner vergessen - wir sind doch alle so redlich und freundlich.

Tatsache ist aber, das der Einwand richtig ist. Sofort nach dem Auslösen eines Belegtmelders erfolgt die erste Verminderung um eine Fahrstufe. Das war nicht immer so. Vor einigen Jahren, wir schrieben das Lichtjahr der Version 2.0 oder 2.1, war die gerade gefahrene Fahrstufe in die Bremswegberechnung integriert. Damals gab es allerdings einige Klagen darüber, dass die Software erst "verspätet" nach ansprechen des Belegtmelders den Bremsvorgang auslösen würde und der Bremsweg dadurch verkürzt werden würde. Klingt plausibel, oder ? Ja, und darum wurde damals das Verfahren auf das heutige Prinzip umgestellt. Heute kann ich nur sagen: hallo, Ihr Christen, Buddhisten, Islamisten, Moslems, Atheisten und die, mir gerade nicht einfallen wollen; könnt Ihr nicht mit einer Zunge reden ?

Aber kein Problem: es sind nur wenige Tage Arbeitsaufwand und die vielen, vielen, vielen Kunden, die mit Fahrstufe 1 in ihre Bahnhöfe fahren, sind zufrieden. Denn der Bremsweg- Algorithmus bekommt eine Ausnahmeregelung für die Fahrstufe 1. Sie wird künftig später gesendet und den Zug dann irgendwo anders anhalten lassen.

Falls Sie den Sinn des vorstehenden Text nicht verstanden haben, nehmen Sie es einfach als tragikomische Realsatire. Und fühlen Sie sich bitte auch nicht persönlich betroffen. Denn ich weiß, das es im Grunde anders gemeint war ....

Im letzten Bericht wurde die alternative Zugansteuerung ohne "Massensimulation" vorgestellt. Es ist wohl klar geworden, das dieses Verfahren erheblich aufwendiger ist und sich darum eher für kleinere Modellbahnanlagen mit wenigen Zügen eignet. Ergänzen möchte ich noch, dass es durchaus Möglichkeiten für eine halbautomatische Erstellung der Bremswegtabelle gäbe. Mangels breiten Interesses wurde sie bisher nicht realisiert. Erst mal der sanfte Bremsvorgang zwischen Fahrstufe 1 und 0 ;-)) ...

Auch für das mögliche Problem eines falschen Bremsweges bei niedrigen Fahrstufen ließe sich Abhilfe schaffen, wenn sich eine ausreichende Zahl von Kunden melden würde. So um die 100 sollten es schon sein (ohne "Ich auch, Herr Lehrer"). Denn statt eines pauschalen Schiebers mit einem Wert für die Bremswegkorrektur ließe sich eine ganze Korrekturtabelle für die Geschwindigkeitstabellen realisieren. Aber bitte erst die Wochenberichte 53 und 54 lesen, verstehen und beherzigen.

Ein sehr interessanter Hinweis kam wieder einmal aus dem Forum: "bremsen ist nichts weiter als eine negative Beschleunigung" und "diese muss lediglich rückwärts berechnet werden". Das ist völlig richtig und für mich der Ausgangspunkt für ein Verfahren, an dem ich nun schon, mehr oder weniger intensiv, seit 2 Jahren arbeite und über das ich eigentlich ungern etwas kommuniziere. Die Problematik liegt in der gewünschten "Rückwärtsrechnung". Sie geht nämlich davon aus, das es eine kausalen Zusammenhang zwischen dem Belegtmelder (z.B.Bahnhofsgleis) und dem Haltevorgang gibt. Zur Verdeutlichung hier eine Skizze:

Ein Entwicklerkollege bietet dafür einen sogenannten "virtuellen Kontakt" an, der im Ursprungssinn das Unvermögen der verzögerten Bremswegauslösung kaschiert und davon ausgeht, dass sich dieser Kontakt logisch hinter (nach) dem Auslösen eines physischen Melders befindet.
Das muss aber nicht immer so sein, denn die Auslösung eine Bremsvorganges könnte durchaus vor erreichen des Belegtmelders nötig sein. Das geht nicht, sagen Sie: das Ei muss erst zu Boden fallen bevor es zerbricht ? Nöö, muss nicht so sein und wir brauchen dafür noch nicht einmal Quanten, die oberhalb der Lichtgeschwindigkeit über die Modellbahn sausen...

Nehmen wir an, wir hätten pro Zug einen Wert für das Bremsvermögen eines Zuges (die besagte negative Beschleunigung). Stellen wir uns weiter vor, der Zug bräuchte bei einer gegebenen Geschwindigkeit und Fahrstufe einen Bremsweg von 250 cm. Was passiert nun, wenn nach dem Auslösen  des Gleisabschnitts nur noch ein realer Bremsweg von 100 cm zur Verfügung steht ?

Die Lösung ist relativ einfach, denn unter der Voraussetzung das die Länge des Belegtmelders (nicht Länge des Bremsweges und nicht die nutzbare Gleislänge) exakt hinterlegt sind, kann die Berechnung der Bremsweges schon am vorherigen Melder erfolgen. Tja, und genau für diesen Zweck wurde in Wahrheit ab Version 4.0 die optionale Angaben der Melderlängen eingeführt und zunächst mit ein paar simplen Funktionen versehen, um die Akzeptanz und Bereitschaft der Nutzer zu testen, ihre Anlagen komplett zu vermessen und die Werte in Railware zu erfassen. Das ist nämlich die einzige Voraussetzung für ein individuell pro Lok/Zug einstellbares und nichtlineares Beschleunigungs- und Bremsverhalten.

Dann ist auch das folgende Verhalten möglich, das entsteht, wenn der Zug heute kurz nach dem Anfahren wieder abgebremst wird. Denn er kann nun nach auslösen des Belegtmelders durchaus noch einige Zeit beschleunigt werden.

Geniale Idee ? Klar ! Aber nur für diejenigen, die diesem "Ausflug" noch folgen konnten. Sie konnten nicht folgen ? Nein, das macht wirklich nichts.  Vielleicht mögen Sie sich dann an dieser Aussage reiben: je niedriger die gefahrene Geschwindigkeit und je länger der Bremsweg, desto größer die Ungenauigkeit des Haltepunktes.

Und: Wenn nicht der im Bericht 53 beschriebene Einmessfelder die Ursache für falsche Bremswege ist (Informationen sind eingegeben wie in den Handbüchern beschrieben), dann sind Motor, Mechanik und Elektronik Ihrer Loks ursächlich verantwortlich - nichts sonst !

Zum Abschluss noch eine weitere mögliche Ursache für zu kurze Bremswege bei zu niedrigen Fahrgeschwindigkeiten. Manch ein Zeitgenosse hat vielleicht festgestellt, dass alle seine Bremswege überschritten werden und hat darum die Bremswegwerte in den Zuganzeigern nach unten korrigiert. Das sollte man nicht tun, Geschwindigkeits- und Wegangaben sollten immer der Wirklichkeit entsprechen. Hierbei bitte niemals schummeln !! Das hat zwar keinen Einfluss bei geschwindigkeitsabhängig falschen Bremswegen, aber es gibt einen typischen Grund der den Effektbewirken kann. Nämlich, das das Digitalsystem ist für die Menge an fahrenden Zügen zu langsam ist. Wer also mit einem Märklin System mehr als 5 Züge fahren lässt oder mehr als 3 DCC Loks mit 128 Fahrstufen fährt oder insgesamt mehr als 20 Züge mit einem Digitalsystem bedient, wird, zumindest zeitweise, sein Digitalsystem überlasten.

Weiterhin viel Spaß wünscht
Dieter Hinz

p.s. Für alle, die ohne lastgeregelte Lokdecoder fahren oder keine Loks einmessen möchten oder Brems- oder Geschwindigkeitstabellen erstellen wollen: verwenden Sie doch einfach einen zweiten Rückmelder als sogenannten "Stopkontakt" und bestimmen Sie so den exakten Haltepunkt aller Züge. Wie das geht, ist mehr als ausführlich in beiden Handbüchern beschrieben.

p.p.s. Mit diesem Bericht endet der Fortsetzungsroman "Alles über falsche Bremswege".

p.p.p.s. Geschwindigkeitsabhängige "Virtuelle Kontakte" stehen Kunden der Commercial Version und dem Vorgänger 3.x seit einigen Jahren zu Verfügung. Weil Sie leider in eine logische Sackgasse führen, müssen "normalsterbliche" Kunden bis zur Realisierung der oben beschriebenen Funktionen warten.

p.p.p.p.s. Vielen Dank an dieser Stelle allen engagierten Kunden, die mit Ihren Vermutungen, Beobachtungen und Tests zu dieser Berichtsreihe beigetragen haben.

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