Letzte Woche bei Railware

21.3.2004

Diesmal soll es um eine gelegentlich gestellte Frage aus dem Forum gehen: warum ist bei niedrigen Geschwindigkeiten der Bremsweg zu kurz? Es scheint einige Modellbahner zu geben, bei denen der Bremsweg eines Zuges, exakt: sein Haltepunkt, bei niedrigen Geschwindigkeiten kürzer ist als bei höheren. Das fällt dann in der Regel erst dann auf, wenn man eine bestimmte Fahrsituation hat. Diese will ich hier zunächst beschreiben.

Ein Zug fährt auf einer H0 Anlage von Abschnitt A über B nach C. Dort muss er anhalten. Alle Abschnitte sind 300cm lang und der eingestellte Bremsweg ist jeweils 250cm. Auf allen Abschnitten kann eine Geschwindigkeit von 140km/h gefahren werden. Die Züge fahren mit Massensimulation.

Der Zug wird nun, wenn er den Abschnitt C erreicht, langsam abgebremst und kommt nach ca. 2,5 Metern zum Stillstand. Soweit ist alles gut. Nun stellen wir uns aber mal vor, dass Abschnitt C noch durch einen vorausfahrenden Zug belegt ist. Dann muss "unser" Zug bereits am Abschnitt B anhalten. Nach dem der Abschnitt C wieder frei ist, wird der Zug wieder langsam beschleunigt. Aber schon nach kurzer Zeit erreicht er ihn und wird schon wieder abgebremst. Er halt also seine erlaubte Geschwindigkeit noch gar nicht erreicht, sondern fährt relativ langsam. Damit dauert die Zeit bis zum Stillstand natürlich länger. Und genau hier scheinen manche Modellbahner Probleme zu haben. Etwas vorschnell kommt dann die Behauptung, das Railware den Bremsweg nach der Soll- und nicht nach den Ist- Geschwindigkeit berechnet. Aber das ist schlicht falsch, wie ein gezielter Blick auf die erzeugten Fahrstufen im Interface Logbuch zeigen würde. Zur Verdeutlichung noch mal ein Diagramm:

Wie man ganz deutlich sehen kann, ist bei einem Bremsvorgang aus niedriger Geschwindigkeit (blauer Verlauf) die Zeit (t2) entsprechend verlängert, so das der Zug rein rechnerisch immer an der gleichen Stelle zum halten kommen muss. Wenn er das nicht tut, dann müssen wir wohl woanders forschen...

Ursache 1
Der Modellbahner hat trotz vollmundiger Beteuerungen sene Loks gar nicht eingemessen, sondern, ohne genau zu wissen was er macht, einfach die Geschwindigkeitskennlinie so hingezirkelt, das die gefahrenen Geschwindigkeiten passen. Vergessen Sie nicht, dass die Geschwindigkeitstabelle eine entscheidende Rolle beim Bremsvorgang spielt. Ein falsch eingestellte Tabelle führt mit Sicherheit zu falschen Haltepunkten !

Ursache 2
Loks sind zwar meist optische Leckerbissen, aber die eingebauten Motoren sind manchmal alles andere als geeignet. Auch die Lokdecoder, die ja besonders klein sein sollen, sind in vielen Funktionen ein technischer Kompromiss. Bei einigen Kombinationen von Motoren und Lokdecodern scheint die Lastregelung im unteren Geschwindigkeitsbereich nicht besonders gut zu arbeiten. "Ordentliche" DC- Motore sind da ganz klar im Vorteil. Mir scheint es so zu sein (Vorsicht, das ist reine Spekulation), das eher Loks mit "Hochleistungs-" oder Glockenankermotoren betroffen sein könnten. Auch die Info: "6090 raus und Lokpilot rein" hörte ich schon als Lösung. Wir werden diesen Punkt in den nächsten Monaten einfach mal genauer verfolgen. Sollte er sich bewahrheiten, dann ist es gar nicht so schlecht wenn Lok- und Decoderhersteller sich, wie vermehrt angekündigt, mittels Zusatzelektronik selbst um den richtigen Bremsweg bemühen wollen. Dann wären Problem und mögliche Lösung wenigstens in einer Hand.

Vergessen Sie also nie: eine Modellbahn ist ein technisches Spielzeug und KEINE professionelle Technik.

Ursache 3
Ist Ihnen an der Tabelle mit den beiden Bremsabläufen (grün / blau) etwas aufgefallen ? Genau, beim zweiten Versuch mit der blauen Kennlinie sind nur niedrige Fahrstufen im Spiel und diese bleiben auch viel länger eingeschaltet bis die nächstniedrigere Stufe folgt. Dummerweise ist es aber so, das ausgerechnet die niedrigen Fahrstufen gar nicht genau eingemessen worden sind. Denn Railware startet den Einmessvorgang erst ab einer bestimmten Fahrstufe und berechnet die untersten Werte lediglich. Der Grund dafür ist die Tatsache, das ein Einmessvorgang bei Fahrstufe 1 bis 3 (bei DCC mit 28 Fahrstufen 1bis 7) sehr lange dauern würde.

Es ist aber möglich, das sich die Lok bei diesen Fahrstufen gar nicht bewegt. Dann bleibt sie beim Bremsen auch zu früh stehen. Schauen wir uns dazu mal eine typische Tabelle an, wie sie von Railware intern verwendet wird. Die ersten beiden Zeilen zeigen die Zahlenwerte aus der Geschwindigkeitskurve, wie sie für die Darstellung der Kennlinie verwendet wird. Die dritte Zeile zeigt die bei einer bestimmten Fahrstufe zurückgelegte Strecke n Zentimetern an. Diese intern beim Einsetzen einer Lok vorberechneten Werte beschleunigen die spätere Berechnung individueller Bremswege im Betrieb.

Da die Lok sich aber erst bei Fahrstufe 3 wirklich bewegt, wurde die Geschwindigkeitstabelle manuell korrigiert. Daraus resultiert dann die in Wirklichkeit zurückgelegte Strecke, wie sie in der 4. Zeile eingetragen sind. Das ergibt nun eine erhebliche Abweichung zwischen erstellter Tabelle und der Wirklichkeit. Sie ist in der 5. Zeile eingetragen. Fährt die Lok also längere Zeit mit der Fahrstufe 3, dann beträgt die Abweichung zwischen berechnetem und wirklicher Fahrstrecke 77% ! Klar, das die Lok wesentlich zu früh anhält. Lassen Sie sich bitte nicht von den beiden Zentimeterangaben 13 und 3 verwirren. Die daraus resultierenden 10 Zentimeter Differenz gelten ja nur für eine Sekunde. Bei langsamen Geschwindigkeiten und langen Bremswegen wird jede Stufe aber viele (!) Sekunden anstehen.

Fahrstufe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
km/h 7 14 21 29 36 43 50 57 64 71 79 86 93 100
Strecke pro Sekunde 2 6 13 22 33 47 63 81 101 124 149 176 206 238
Wirkliche Strecke pro Sekunde 0 0 3 10 21 35 51 69 89 112 137 164 194 226
Abweichung in % 100 100 77 55 36 26 19 15 12 10 8 7 6 5

Wir können festhalten, das die Abweichung umso größer ist, je langsamer der Zug fährt und je länger der Bremsweg ist. Außerdem können die unteren nicht gemessenen Fahrstufen zu Bremswegfehlern führen.

Und wie lösen wir das Problem? Ganz einfach: prüfen Sie Ihre betroffenen Loks einmal, ob sie sich bei den ersten drei Fahrstufen überhaupt bewegen. Wenn nicht, verschieben Sie die betroffenen Reiter der Geschwindigkeitskurve einfach auf 0. Das dürfte reichen.

Ursache 4
Sie verwenden Lokdecoder ohne Lastregelung. Hier mögen Ihnen auch weiterhin die Götter des Zufalls gewogen sein.

Zum Abschluss noch ein kleiner Blick auf den Testaufbau, auf dem diese Erfahrungen beruhen. Ich hoffe, es stärkt Ihr Vertrauen ;-)

Weiterhin viel Spaß mit dem Modellbahnhobby wünscht Ihnen

Dieter Hinz

 

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